Die alten Herren

Johannes Kerp war alt geworden. Sein einziger Stolz war sein Garten, in dem vorne saubere Beete mit schwarzer, fruchtbarer Erde die feinsten Gemüse und Kräuter hervorbrachten. Dahinter standen Beerensträucher, mit den Jahren groß und prächtig herangewachsen. Dann folgten Brombeeren, deren Ranken wehrhafte Knäuel bildeten, und jetzt im Herbst mit großen, schwarzen süßen Früchten lockten. In diese Brombeerhecke führte ein schmaler, dunkler Pfad, wie Hasen oder Kaninchen ihn frei halten. Rolf, sein jüngster Enkel, konnte über die Brombeerhecken hinweg die Spitzen stolzer Obstbäume erkennen, Apfel, Birne, Zwetschen und andere. Rolf konnte sich nicht erinnern, je dort hinter der Brombeerhecke gewesen zu sein. Ein Nachbar hatte das hintere Stück des Gartens gepachtet. Er bezahlte seine Pacht, indem er nach der Ernte einige Kisten mit Äpfeln, Birnen und Zwetschen bei Johannes Kerp ablieferte.
Täglich, nach der Arbeit, besuchte Rolf seinen Großvater, weil der seinem Enkel ein Beet zu Eigentum vermacht hatte, und weil Rolf für seinen Großvater Einkäufe erledigte und im Hause notwendige Reparaturen durchführte. Rolf war ein fleißiger, geschickter Bursche. Er hatte eine Arbeitsstelle als Elektroinstallateur.
So hätte das Leben ewig weitergehen können. Drei Geschehnisse traten jedoch fast zur gleichen Zeit ein:
Die Firma, bei der Rolf arbeitete, musste Konkurs anmelden und ihre Leute entlassen. Eine andere Firma, bei der Rolf seine geschickten Hände hätte einsetzen können, war weit und breit nicht vorhanden. Dieses Ereignis machte Rolf arm.
Das zweite Ereignis war der Herzinfarkt des Pächters, der den hinteren Teil von Johannes Kerps Garten bewirtschaftete. Eine junge Frau gab allerdings zur Erntezeit die "Pacht" mit der Mitteilung ab, daß Herr Kerp in Zukunft den Garten selbst bewirtschaften oder einen neuen Pächter finden müsse.
Das dritte Ereignis schlich nur sehr allmählich näher. Großvater Kerp wurde von Tag zu Tag schwächer. Rolf, der jetzt viel Zeit hatte, kümmerte sich soviel um seinen Großvater, dass er sogar das Kirmesfest fast ganz vergessen hätte, für das er sich mit einigen ehemaligen Kollegen verabredet hatte.
Aber Großvater Kerp erzählte wie jeden Abend aus seiner Jugend so farbenfrohe Geschichten, daß Rolf seinen eigenen Kummer regelmäßig vergessen konnte.

blättern: weiter >