Die alten Herren, Seite 2
Bei einer jener Erzählungen brachte Johannes Kerp die Sprache auf die Kirmes und darauf, wie er Großmutter kennen gelernt hatte. Großmutter lebte schon sein einigen Jahren nicht mehr. Eine Träne rann Johannes Kerp über die Wange; dann lächelte er seinen Enkel an, klopfte mit seiner knochigen Hand auf einen von Rolfs kräftigen Oberschenkeln und meinte: "Es ist wieder Kerve! Nu geh' auch Du Tanzen!". Er kramte in der Anrichte herum, und brachte für seinen Enkel einen braunen Fünfziger zum Vorschein. Dann meinte er noch: "Bringe mich jetzt zu Bett, dann kannst Du mich für die Nacht vergessen!".
Rolf tat, wie ihm geheißen, nahm mit warmer Dankbarkeit den braunen, knisternden Schein, löschte das Licht, sagte nochmals: "Na dann, bis morgen!". Kurze Zeit später schloss er leise die Haustür. Dann ging er noch mal nach Hause, sagte seiner Mutter Bescheid und mischte sich anschließend unters fröhliche Volk.
An bekannten Gesichtern traf er nur die ehemaligen Kollegen und eine Kollegin, denen das Bier gleich ihm nicht recht schmecken wollte.
Alle waren sie knapp bei Kasse, so dass die Budenbesitzer, die Karusselbetreiber, die Losverkäufer und die Wirte an ihnen nicht reich werden konnten.
Einige hatten ihre Freundinnen mitgebracht. Nur die Kollegin war, wie sich herausstellte, solo und mit einem anderen Kollegen und dessen Freundin mitgekommen, weil sie ihrerseits wieder die Freundin der Freundin war. Sie wohnte auch nicht in Rolfs Dorf. So ergab es sich einmal, dass Rolf und die Kollegin, Manuela so hieß sie, allein am Tisch saßen. Rolf schielte immer wieder verstohlen zu ihr hinüber, dann im Taumel der Musik stand er auf, kam sich wie eine Aufziehpuppe vor, verbeugte sich kurz und sagte etwas lauter als beabsichtigt: "Tanzt du mit mir?" Er fühlte sich unverschämt, da er sich, wie viele junge Männer zu wichtig nahm, um unbefangen um einen Tanz zu bitten.
Zu seiner eigenen, grenzenlosen Verblüffung - warum eigentlich - willigte Manuela in den Tanz ein. Rolf fand erst den Rhythmus nicht, stotterte, wenn er sprechen wollte und nahm nur die Glanzlichter in ihren dunklen Augen wahr, die die spärlichen Lampions am Rande der Tanzfläche erzeugten.
Irgendwann verschwammen die Glanzlichter für ihn und er begann von seinem Großvater zu erzählen, wie er ihn allein gelassen hatte heute abend, um hierher zu kommen. Und er erzählte von Großvaters Garten, den Beeten, den Büschen, den Dornen und dem fernen Obstgarten, den er nie betreten hatte und der vom Nachbarn gepachtet worden war.

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