(Ein ruhiger Abend - Zeit-Myzel, Seite 10)
Erst, als ich hinter Tellerauge her gehe, und merke, dass ich genau die Kopfbewegungen Tellerauges imitiere, geht mir das Licht auf: Ich sehe durch die Augen meines Freundes, aber umgerechnet auf meinen Standort!
Als sich nämlich Tellerauge umdreht, halte ich meine Körperstellung bewusst bei und schaue auf ihn. In diesem Augenblick sehe ich nur noch das von meinen Augen gesehene Bild, das mehr oder weniger durch Silhouetten und schwarze Schatten gekennzeichnet ist. Tellerauge dreht sich im Kreise, kugelt sich und gibt ein gackerndes Geräusch von sich. Was soll ich sagen: Er freut sich über mein dämliches Gesicht und lacht mich aus.
Also, ich schaue wieder in die Richtung, die mir Tellerauge irgendwie übermittelt; und siehe da, ich sehe wieder klar und deutlich sogar mit angenehmen Farbnuancen. Ich genieße, in der tiefen Dämmerung zu sehen!
Nun packe ich meine Pfeile zusammen und schultere den Bogen. Was für ein Team! Welche Erfahrungen und Fähigkeiten! Die Suche nach Nahrung kann beginnen:

Erkundung
Ich denke an einen Rundgang, der uns zunächst nach Süden führen sollte. An dem Bach, aus dem wir zum Frühstück getrunken haben, sollten wir dann nach Osten abbiegen, nach einigen hundert Schritten nach Norden abbiegen. An unserer Schlafstelle vorbei würde ich gerne noch etwas weiter vorbeiziehen,
dann wieder nach Süden abbiegen, um uns an der Bucht entlang unserer einfachen Behausung zu nähern.
Kaum habe ich mir diese Route vorgestellt, setzt sich Tellerauge in Bewegung in Richtung Bach. Ich folge, meinen bewährten Knüppel in meiner Rechten. Ich traue diesem Abendfrieden nicht. Getreulich sendet Tellerauge Bilder der Gegend vor uns, so dass ich ohne zu stolpern über Steine und Grasbüschel hinweg steigen kann. Ich bewundere diesen Trick Tellerauges, der die Bilder so umrechnet, als sähe ich sie direkt. Ohne Zwischenfälle erreichen wir den kleinen Süßwasserlauf.

Tellerauge dreht sich einmal um seine Achse, ich tue es ihm gleich. Nichts Gefährliches zu sehen. Wir schauen nach oben: auch nichts. Tellerauge beugt sich hinab, um Wasser zu schlappen. Ich halte Wache. Allerdings muss ich mich jetzt auf meine Ohren und mein restliches Sehvermögen beschränken. Denn mein Freund blickt ins dunkle Wasser und ich blicke bewusst anderswohin.

In das Schlabbern des Wassers mischt sich unversehens das Rascheln und Vibrieren, wie ich es von großen Libellen her kenne. Das Geräusch kommt aus südlicher Richtung und nähert sich der Bachmündung, also ungefähr unserem Standort. Ich mache: "Ssst". Tellerauge hört auf zu Schlabbern und schaut der Geräuschquelle entgegen. Aber die ist inzwischen verstummt. Das nun in meinem Kopf sichtbare Bild zeigt tatsächlich eine Libelle von enormen Ausmaßen.

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