Zeit-Myzel, Seite 106

Dort überlagerten sich plötzlich Bilder vom kochenden See, den dort errichteten Hütten, den schlafenden Frauen, Zitrok, Wache haltend und Talrin, der mit einer der kleineren Drachendamen spielte. Die Größenverhältnisse der Beiden ließen das Bild fast grotesk erscheinen: Ein Kind, das von einem Drachenschnabel hochgeworfen und wieder aufgefangen wird, der winzige Krümel entgegen nimmt und schließlich eine ungeschlachte Echse, die mit äußerstem Feingefühl das schlafende Kind unter ihren Flügeln schützt.

Also war das große Heupferd Schregg, das ich schon lange nicht mehr in unserer Nähe bemerkt hatte, überraschend zurückgekehrt. Wie ich wusste, würden sich Schregg und die kleine Viper gut vertragen. Allerdings musste ich mich sehr anstrengen, die mir übermittelten Szenen auseinander zu halten.

Zwischen die offenbar vom kochenden See aus übertragenen Bilder Schreggs mischten sich ständig Szenen mit Clara, die von Talrins kleiner Viper stammten. Clara, die etwas zu essen sucht. Clara, die einen Hundertfüßler jagt und verdrückt. Clara, die in eine Maus beißt und sie verspeist. Ich war froh, als diese Clara-Bilder endlich verschwanden. Allerdings wurden nun auch die Bilder Schreggs ziemlich langweilig. Die Nacht schien an beiden Schlafplätzen ruhig zu verlaufen.

Ich wurde davon wach, dass ich Tagong mit jemand flüstern hörte. Die Sonne lugte durch die Baumkronen und schickte sanfte Strahlenfinger durch den morgendlichen Dunst am und über dem See. Tagong stand vor "seiner Hütte", wo sich Claras Schlange Zar schlafen gelegt hatte.

Artig bedankte sich der Jäger bei der Schlange: "Nun ist es genug und du könntest mein Lager wieder freigeben". Offensichtlich traute er sich nicht, die Schlange zu berühren. Sie wäre dann wahrscheinlich sofort im nahen Dickicht verschwunden. So aber rührte sie sich nicht, starrte an Tagong vorbei. Dass sie lebte, sah man nur an den Atembewegungen und daran, dass sie gelegentliche die Augen mit ihrer Nickhaut langsam schloss und wieder aufmachte. "Lass' sie!", sagte ich zu meinem Gefährten. Sie wird verschwinden, sobald es warm genug ist. In der morgendlichen Kälte ist sie vergleichsweise unbeweglich und kann leicht die Beute anderer Tiere werden.

Tagong brummte: "Was ihr Woschats alles wisst!", sammelte einige Werkzeuge ein und machte sich an die Arbeit. Ich tauchte ein Stück durch den See und schwamm zurück. Tagong schüttelte den Kopf. Das Wasser war nur oberflächlich kalt. Das tiefere Wasser hatte von den Tagen vorher noch viel Wärme. Aber ich glaube, Tagong war einfach wasserscheu. "Kannst schwimmen?" fragte ich unvermittelt, als ich triefend vor ihm stand. "Natürlich nicht, bin kein Fisch!" gab er zurück, fast schon erstaunt.

Dass ein Mensch schwimmen kann, widersprach seinem Weltbild. Die Geister des Wassers waren heilig und unheimlich. "Schon mancher ist nicht wieder aufgetaucht! - Es ist töricht die Geister des Sees zu stören", stellte er fest. Dann, nach einigem Nachdenken meinte er: "Du bist so dumm! Nichts kannst Du richtig." Ich musste ihm Recht geben, denn meine Erinnerungen an die hiesigen Sitten, Gebräuche und Techniken waren immer noch sehr lückenhaft trotz der vielen Gespräche mit Clara und den in meinem Inneren flüsternden Personen. "Das stimmt", gab ich zu. "Du bist der bessere Jäger, und ich bewundere deine handwerklichen Fähigkeiten", sagte ich. Er blickte kurz von seiner Arbeit auf.

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