Zeit-Myzel, Seite 39

- "Klar, aber zwischendurch will ich etwas essen." Das war mehr eine Feststellung und bedeutete, dass wir uns nicht zu beeilen brauchten.

Wir überlisteten einmal mehr eine 'fallende Schlange', die uns allen genug Nahrung bot. Es blieb sogar genug für die Hundertfüßler. Übrig blieb nur ein feingliedriges Skelett mit einer phantastischen Elastizität. Diese erklärte auch die Fähigkeit, sich bei einem Sturz aus den Baumkronen keine Knochenbrüche zuzuziehen. Als wir schon alle satt waren, schoss einer der kleinen pfeilschnellen Schatten auf Tellerauge zu, der gerade den fetten Hundertfüßlern zuschaute.

Seine Überlegungen zu einem Nachtisch wurden durch den zuschlagenden Flugsaurier jäh unterbrochen. Tellerauge warf sich wohl instinktiv nach hinten und griff nach den Klauen. Er bekam sie voll zu fassen. Aber er wurde hochgerissen. Die Echse hackte nun ihrerseits mit dem Schnabel auf Tellerauge und riss an ihm. Mit welchem Erfolg, ließ sich aus der inzwischen erreichten Entfernung nicht erkennen.

Lautlos wischte ein zweiter viel größerer Schatten über den Kampfplatz, strich über das Knäuel aus dem ersten Angreifer und Tellerauge. Als der große Schatten weiter zog, hatte er die kleinere Echse in seinen Klauen und Tellerauge plumpste unsanft auf den sandigen Boden, rollte sich wie ein Fallschirmspringer ab und blieb benommen liegen. Er blutete aus mehreren großen Fleischwunden an Schulter und Rücken. Schlagadern waren anscheinend nicht betroffen.

Es war rührend, anzusehen, wie Fauch Tellerauges Wunden leckte uns sich nach einiger Zeit sichernd aufrichtete.

Wibra erschien wie aus dem Nichts und machte sich sogleich an die Arbeit,mit ihrem Sekret die Wunden zu desinfizieren - und was sonst noch heilend wirken würde. Vieles von den Zusammenhängen verstand ich überhaupt nicht.

Ich hatte zwar den Bogen schon gespannt. Der Abschuss meines Pfeils wurde allerdings durch das Eingreifen von Atros überflüssig. "Atros", dachte ich, "das war Rettung in letzter Sekunde!" Für einen kurzen Moment fühlte ich so etwas wie einen Sonnenstrahl in meinem Herzen. So ungeschlacht diese lebenden Segelflieger erscheinen mochten, so nett konnten sie sein.

Also machte ich mich auf, jene Blätter zu pflücken, die Tellerauges (und meine) Wunden bisher immer rasch haben heilen lassen. Einige Minuten leitete mich Tellerauges Fähigkeit. Doch plötzlich wurde es um mich herum so dunkel, wie es tatsächlich war. Das konnte nur eins bedeuten: Tellerauge hatte das Bewusstsein verloren. Bis zum Waldrand konnte ich ohne weiteres gelangen, aber wie sollte ich die Blätter finden? Außerdem war der dunkle Wald für mich gefährlich. Jedes Raubtier, jeder Skorpion, jede Schlinge und jedes Morastloch konnte mich für immer auslöschen.

Mit dem Bild der schlaffen, krautigen Blättern in meinem Kopf überwand ich die ersten Büsche am Waldrand. Dahinter wurde es so dunkel, dass ein weiteres Vordringen absolut zwecklos war. Also suchte ich seitwärts am Waldrand entlang. Die Geräusche, die ich an Blättern und Zweigen in Bodennähe erzeugte, hallten wie die Einladung zum Abendessen durch das Unterholz. Ich hatte Angst und einen sorgfältig mit Steinspitze bewehrten Speer in der Rechten. In der linken trug ich einen kurzen, vorne verdickten Ast als Schlagwaffe. Wahrscheinlich hätte sich jeder trainierte Überlebenskünstler meiner Erinnerung geschüttelt vor so viel Unverstand.

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