Zeit-Myzel, Seite 41

"Wetu Eleanor", legte mir die flache Hand auf die Brust und verbeugte mich leicht. Mit der Geschwindigkeit eines Maschinengewehrs rissen die immer noch im Kreis stehenden Wesen ihre Lampions hoch und sangen einen kurzen Text. Das waren wohl ihre Namen, aber so schnell war ich nicht. Ich hielt mir die Ohren zu und schüttelte den Kopf zum Zeichen, dass ich dem nicht folgen konnte. Ich deutete auf den "Anführer", der sich uns zuerst genähert und seine Position nicht geändert hatte. Dieser imitierte meine Geste und sang: "Ailalailanaah". Ich versuchte, diesen Singsang nachzuahmen und sang "Haalooh Aialanah". Der Kleine schüttelte den Kopf und sang erneut: "Ailalailanaah". "Ahah" antwortete ich: "Haalooh Ailalailanaah!", wobei die "i"s einzeln zu singen waren. Danach allerdings artete das Ganze in eine Art rhythmisch gesungenes Palaver aus.

Die Wesen kümmerten sich plötzlich nicht mehr um uns, sondern marschierten zum Wasser und bildeten dort einen Halbkreis aus einer schmalen Doppelreihe von Lichtpunkten, die im Wind leicht wellenförmig schwankten. Jetzt sangen sie wieder. Als der Gesang einsetzte, fing etwas großes Dunkles an zu phosphoreszieren, ließ Schlieren aus allen Farben des Regenbogens über den Kugelleib wabern oder rotieren, kurz Polyt tauchte auf und korrespondierte irgendwie mit den kleinen Flügelwesen. Sie näherte sich jetzt der kleinen Schar, die da vor uns im Halbkreis sang und öffnete sich schließlich, wie gewohnt.

Aus der Öffnung schwirrten artgleiche Flügelwesen, etwa ein Drittel so große wie jene im Halbkreis. Sie flogen sofort auf die Schar der größeren Wesen im Halbkreis zu. Dort wurden sie, so schien es geherzt und geküsst.

Schließlich entzündeten auch die kleineren Wesen ihre Lampions, überschlugen sich in der Luft, piepsten und schlugen offensichtlich übermütig mit ihren Flügeln. Aus der Öffnung Polyts folgten aber noch Wesen, die wie aufgequollene und versteinerte Kaulquappen aussahen:

die Kinder der Elben! Sie plumpsten ins Wasser und schwammen mit rudernden Ärmchen und Beinchen auf den leuchtenden, nicht mehr ganz so geordneten Halbkreis zu. Noch im Wasser oder bereits an Land platzte ihre Haut, fiel von ihnen ab und heraus kamen jene eleganten kleinen Flieger. Manchmal mussten andere ein Wenig nachhelfen. Aber die meisten schafften es von sich aus. Als keine Wesen mehr im Wasser oder im Bauch von Polyt war, setzte sich der ganze Zug dieser Elben in Bewegung.
Einige machten nochmals Halt bei uns und sangen: "Haalooh Wehtuh!". Dann verschwanden sie in die Richtung, aus der ich vor nicht allzu langer Zeit gekommen war. Ich begann zu ahnen, wohin der niedrige Gang führte. Ich würde den morgigen Tag einiges zu erforschen haben! Für diese Nacht und in Anbetracht der Verletzungen Tellerauges begaben wir uns in den Bauch Polyts.

Die Sphäre war ganz froh, dass sie nicht weiterziehen musste. Sie schwebte über tieferes Wasser und ging auf Tauchstation. Ich beobachtete mit Hilfe Polyts die Unterwasserwelt. Dabei versuchte ich einiges von der Sphäre zu erfahren. Die Unterhaltung erwies sich allerdings als sehr zäh. Jedenfalls wurde mir die biologische Aufgabe der Sphären klar:

Elben haben viel gemeinsam mit Insekten, auch wenn sie kein Exoskelett bilden. Sie vermehren sich fast wie Insekten, indem sie Eier ins Flachwasser der Meere legen. Die Sphären saugen die Eier dort ein und entlassen sie über geeigneten, felsigen Stellen in der See. Dort bohren sich die jungen Larven Löcher in die Felsen oder suchen sich vorhandene, leere Löcher ihrer Vorgänger.
Wenn die Kinder groß genug sind, bilden sie eine Art Puppe. Unter der äußeren, jetzt hornigen Haut bilden sich die Flügel aus. Diese bestehen aus kräftigen Knochenspangen, zwischen denen sich eine dünne Haut, die Flughaut spannt.

Was wir beobachtet hatten, war gewissermaßen das Wunder der Geburt. Die Erwachsenen hatten ihre Kinder heimgeführt.

Wetu Eleanor, aufgeschrieben von Ekkard Brewig am 23. Juli 2007

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