Schregg (Zeit-Myzel, Seite 28)

Diese Welt hier ist in deinen Worten "virtuell", doch da sie auf Erinnerungen an viele reale Zeitalter fußt, kann nicht jedes hier lebende Wesen Dinge verändern. Du solltest deshalb wissen, dass dieses Welt aus fest gefügten Gedanken und Erinnerungen besteht. Du hast es schon auf deinen Jagden erlebt. Andererseits kannst du Wesen von hier beeinflussen. Z. B. dein Tellerauge, Fauch, die Puma-Dame, Wibra, die Libelle, das große Heupferd.

Die Grundsubstanz ist ein hauchdünner Film aus Strahlung und Materie um einen entsprechenden Stern. Durch besondere physikalische Umstände saugt diese extrem dünne Schicht Erinnerungen aus allen Teilen des Weltalls auf, reaktiviert sie und kombiniert sie neu. Du wirst in mir eine Märchenfigur sehen, nicht wirklich aber dennoch wichtig für dich und deine Beziehungen, die dir eines Tages ein hohes Maß an Verantwortung abverlangen werden. Ich warne dich, gebrauche deine Macht sehr vorsichtig und rücksichtsvoll. Diese Welt enthält mehr als eine Dimension. Du bist sehr schnell in einer von deinen Machtgelüsten selbst hergestellten Hölle. Wenn du aber sorgsam nach den Bedürfnissen deiner Gefährten jetzt und in der Zukunft handelst, dann wirst du Frieden in dieser Welt finden."

Das Bild des Kobolds in seinem Pilzhaus verblasst und hinterlässt ein Gefühl der Trauer. Ich muss soviel mehr wissen! Ich wache unter einem Busch auf, an dem ein offenbar giftiges, Trugbilder erzeugendes Geflecht hängt. Ein großes Heupferd sitzt auf einem Zweig über mir und lässt aus seinem Mund ein wasserhelles Sekret tropfen. Ob dies ein Gegenmittel ist? Jedenfalls gibt es kein Brennen mehr und keine Visionen. Ich finde ohne weiteres zurück zum Lager.

Inzwischen ist es für meine Augen dunkel geworden. Die Sonne steht bereits unter dem Horizont und der Himmel wimmelt von Sternen. Wie ich mich auch bemühe, bekannte Sternbilder kann ich nicht einmal im Ansatz erkennen. Dass Tellerauge erwacht, erkenne ich daran, dass ich plötzlich wie an einem bedeckten Tag meiner Erinnerungen sehen kann. Meine hier, bis auf Details aus dem Museum, nutzlosen Erinnerungen geben mir das größte Rätsel auf. Diese Welt verlangt das aktive Wissen eines Steinzeitmenschen aber nicht dasjenige aus einer automobilen, technischen Zivilisation. Dummerweise habe ich mich nie wirklich mit den Details beispielsweise eines Telefons oder eines Autos beschäftigt. Um Technik zu nutzen, genügt die Kenntnis der Gebrauchsanweisung. Meine Erinnerungen sind also mehr Gebrauchsanweisung für nunmehr völlig abwegige Dinge. Was hat der Kobold aus meinen Visionen gesagt: "Du bist nur die Erinnerung an eine Welt, die du verloren hast, die aber schon vor Milliarden Jahren vergangen ist." - Komisch! Wie kann eine Vision Erklärungen liefern?

Mich erfüllt eine gewisse Dankbarkeit dem Heupferd gegenüber mit seinem heilenden Sekret. Ab jetzt hat es seinen Namen: Schregg. Das Bild eines in einem der Bäume lauernden, etwa hühnergroßen Flugsauriers erscheint in meinen Augen. Gleich nebenan ringelt sich eine "fallende Schlange" und wartet auf die unvorsichtige Beute unter ihr. Unwillkürlich nehme ich Partei für die Schlange, von denen wir bereits so viele gegessen haben. Ich denke, meinen Freunden sollte der kleine Flugsaurier reichen. Ich selbst habe wieder genug Erbsen, um heute fleischlos zu leben.

Und richtig, Tellerauge bietet sich dem kleinen Saurier als Beute an, macht sich klein und humpelt lahmend über die freie Fläche in nördlicher Richtung vor unserem Lagerplatz.

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