Die Sphäre (Zeit-Myzel, Seite 31)

Sie verlaufen von Pol zu Pol, sammeln sich zeitweise als bunter Schal am Äquator und führen einen bewegten Tanz auf, wobei die Polregionen alles Licht zu schlucken scheinen und samtschwarz werden. Im nächsten Moment verteilen sich die Farben wieder über die gesamte Oberfläche.

Keiner meiner Gefährten nimmt von dieser Sphäre nennenswert Notiz. Tellerauge interessiert sich im Augenblick für einen unvorsichtigen Hundertfüßler. Fauch sitzt im Sand und leckt ihr Fell. Wibra und Schregg jagen unverdrossen Moskitos. Meine Neugier steht allein. Die Sphäre scheint ungefährlich zu sein; sonst hätte zumindest Tellerauge in irgendeiner Form Alarm geschlagen. Auch scheint die Riesenblase nicht essbar zu sein. Dafür hätte sich Fauch brennend interessiert. Das bunte Farbenspiel scheint nur mich etwas anzugehen.

Meine Gedanken überschlagen sich mit den wildesten Spekulationen über die Natur dieser Sphäre: Ein Ballon, mit dem man die Welt erkunden kann? Ein Raumschiff? Eine Naturerscheinung des hiesigen Meeres, eine gasgefüllte Qualle oder einfach eine Riesenblase, die bald platzen wird?

Ich gehe bis zu den sanft ausrollenden Brechern und winke zu der Sphäre hinüber. Träge ändert sie Richtung und Geschwindigkeit und kommt auf mich zu. Fauch schleicht mit nassen Füßen um meine Beine und schnurrt. Werde jemand schlau aus dieser Katze! Tellerauge tut nach wie vor desinteressiert.

Nach gar nicht langer Zeit schwebt die Sphäre dicht über uns. Ich kann die Wand berühren. Sie fühlt sich glatt, elastisch und feucht an wie die Oberfläche einer prallen Qualle.

Von der Stelle, die ich betastet habe, verflüchtigen sich allmählich alle Farbschlieren und hinterlassen eine tiefschwarze Stelle. Als ich nochmals hinlange, greife ich ins Leere. Ich kann durch die Öffnung schräg nach oben die Sterne schimmern sehen. Dann geht das Licht an.

Das Licht kommt aus der Decke des Innenraums. Man sieht eine Art umlaufenden Wulst, der bei einiger Phantasie als Sitzbank angesehen werden kann. In Kopfhöhe gibt es "Knubbel", deren Funktion nicht zu erkennen ist. Ich werde an aneinander gewachsene Ohrensessel erinnert.

Vorsichtig steige ich durch die Öffnung ein. Fauch folgt mir, als sei das Ganze die natürlichste Sache von der Welt. Als ich im Inneren stehe, kann ich nach allen Seiten nach draußen sehen. Die Haut der Sphäre ist ein kristallklares, umlaufendes Fenster. Fauch rollt sich zusammen und schnurrt. Es ertönt ein kaum hörbares "Plopp" - die Einstiegsöffnung im Boden ist verschwunden und das Licht geht aus. Das einzige Geräusch ist das Schnurren der großen Raubkatze, die sich auf meine Füße legt, als ich auf der Bank Platz nehme.

In der Mitte erstreckt sich vom Boden bis zur Decke eine sehnige Säule mit verschlungenen Schläuchen und wulstigen Kissen. Das leichte Auf-und-Ab auf den Brandungswellen macht mich schläfrig. Die Sphäre, könnte ich sie steuern, wäre ein Riesenfortschritt bei meinem Vorhaben zu den Menschen zu gelangen. Ich fürchte nur, wir sitzen im Inneren einer riesigen Qualle, die uns einlullt und uns anschließend verdaut. Einmal mehr werden meine Sinne genarrt durch Stimmen und Bilder aus meiner Vergangenheit. Bin ich schon wieder mit einem Rauschgift in Berührung gekommen. "Luft!", denke ich, "die Luft ist verseucht oder wir haben Sauerstoffmangel hier drin".

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