Zeit-Myzel, Seite 35

Langsam arbeitete sich Polyt mit hin und her schwingendem Rüssel voran. Sein offenes Ende wurde dabei mal klein und rund und mal groß und schlitzförmig. Festsitzende Wasserpflanzen wurden sauber abgeschnitten. Der Mund besaß also so etwas wie Zähne! Hinter uns blieb eine breite Bahn aus weißem Sand.

Aber der Rüssel konnte noch mehr. Wir näherten uns einer Wolke von winzigen Teilchen, die im Wasser schwebten. Vermutlich waren es mikroskopisch kleine Krebse, die wir mit unseren Augen nicht einzeln erkennen konnten. Polyt zog den Rüssel näher an ihren Körper, machte den Mund dafür aber umso weiter. Langsam näherte sie sich der Wolke. Ich konnte nicht recht erkennen, ob überhaupt etwas vor sich ging. Nur der Blick zurück zeigte einen dunklen Tunnel aus klarem Wasser. Die Filterleistung dieser Qualle übertraf alles, was ich aus meiner technisch geprägten Erinnerung kannte! Mich faszinierte vor allem, dass weder der Antrieb noch die Verdauung irgendwelche Geräusche erzeugte. Vermutlich deshalb hielt auch das lebende Futter die Stellung.

Als ich nach einiger Zeit an die Decke über uns blickte, fiel mir auf, dass sich dort eine Ausbauchung gebildet hatte. In diesem Augenblick sagte die Membran über uns: "Ahh!", und der Rüssel verschwand unter uns. Ein leichtes Vibrieren der faserigen Säule in der Mitte unseres Raumes deutete ich als das Einfahren des Rüssels. "Ich zeig' dir was!", meinte Polyt und schwebte langsam zu einem Abhang im Wasser. Dort tummelten sich an einem schräg ins Dunkel fallenden Hang hunderte von Wesen, die wie große Kaulquappen aussahen. Allerdings hatten sie einen deutlichen Hals und ein großes Kiemengeflecht, das sie im Wasser ausbreiteten. Und sie hatten menschlich anmutende Gliedmaßen. Die Hände waren exakt menschlich!

Sobald sich ein Fisch näherte verschwanden die Wesen in kleinen Löchern, in die die Fische nicht folgen konnten. Überall Kaulquappen nur nicht dort, wo sich Fische aufhielten. Nicht ganz: Auch in einem Umkreis von etwa 50 Schritten um Polyt herum war jetzt kein einziges dieser Wesen mehr zu sehen. "Das sind die Kinder der Elben!" merkte Polyt an. "Wer oder was sind Elben?" fragte ich zurück. "Du wirst sie noch treffen!" Damit hüllte sich Polyt in Schweigen.

Vorbei an Korallen, Muschelbänken, treibenden Tang, Fischen und einer Vielzahl von Lebewesen, die ich nicht kannte und nicht einordnen konnte, stieg Polyt zur Oberfläche. Leider war das etwas schmerzhaft, weil der Druck rapide nachließ. Aber es war auszuhalten. Sehr tief war Polyt nicht getaucht.

Die Welt strahlt im frischen Licht des Morgens. Die hohen Bäume jenseits des Küstenstreifens warfen Schatten bis weit ins Meer. Tellerauge lag zusammengerollt zwischen den Stangen eines "Schlafbusches". Die beiden Insekten Wibra und Schregg waren nirgends zu sehen. Sie waren zwar größer als alle Insekten meiner Erinnerung, aber wiederum nicht so groß, dass sie aus unserem Abstand einfach zu erkennen gewesen wären. Polyt schwebte also näher und öffnete sich. Ich ging zu Tellerauges Lager, stieß ihn an. Widerwillig folgte er meinem Blick und dem Wink. Träge schlich er zu Polyt, stieg durch die Öffnung, übersah Fauch geflissentlich, rollte sich sofort wieder zusammen und schlief weiter.

Inzwischen saß ich wieder auf der Bank und wartete auf die Libelle und das Heupferd, aber beide kamen nicht. Nun, sie hatten schon mehrfach bewiesen, dass sie auch ohne uns zurechtkamen - vielleicht sogar besser. "Auf geht's!", und schon war die Öffnung verschwunden und unser so seltsames Vehikel schwebte mit mir, Tellerauge, Fauch und meinen Jagd-Utensilien und Werkzeugen dicht über der Wasseroberfläche nach Norden.

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