Zeit-Myzel, Seite 36

Ich schaute nach draußen. Lautlos drehte sich die Landschaft an uns vorbei. "Wie schnell kannst du?", fragte ich in Richtung der Stielaugen Polyts. Das Karussell der Landschaft begann sich schneller zu drehen und schneller und schneller. "Verzeih' - ich muss nachtanken!". Ohne weitere Worte blieb die Landschaft stehen. Eine Wasserwand schob sich zwischen uns. Die faserige Säule, die durch unsere Kabine lief, machte offensichtliche Schluckbewegungen. Nach kurzer Pause fragte Polyt: "Was machen wir jetzt?", wohl die Lieblingsfrage der Qualle.

Da ich mich etwas müde fühlte von der Nacht und den Erlebnissen mit Polyt, sagte ich: "Langsam nach Norden!". Wir tauchten also wieder auf und drifteten in Sichtweite der Küste in die gewünschte Richtung. Die sanfte Bewegung entlang der Büsche und Bäume schläferten mich ein.

Als ich wieder wach wurde, stand die Sonne über uns, so dass sie aus dem Rundumfenster nicht zu sehen war. Immer noch glitten der Küstenstreifen im Osten und die Meereswellen im Westen an uns vorbei. Von Zeit zu Zeit stießen kleine Flugsaurier ins Wasser und erhoben sich mit einem Fisch im Maul, das ich der länglichen Form halber Schnabel nennen will, wieder in die Luft.

In meinem Kopf formte sich unversehens der Gedanke an Gefahr. Plötzlich fühlte ich mich "ganz hoch oben" und beobachtete unter mir einen Leckerbissen auf oder über dem Flachwasser. Ich ließ mich einfach mit höchster Geschwindigkeit fallen und freute mich schon auf die leichte Beute. Ich hatte das deutliche Gefühl, dass diese mir nicht mehr entkommen würde, wie es mir über dem freien Wasser immer passiert. Dort pflegt Beute immer zu verschwinden, wenn ich sie zu spießen versuche.

Aber diese hier bewegte sich gemächlich in eine Richtung, was ich bei meinem Sturz wunderbar berücksichtigen konnte.

Plötzlich war ich hellwach. Meine Vision war der Kontakt zu einem der ganz Großen dieser Welt. Und plötzlich war mir klar, wovon sich die fliegenden Festungen ernähren! "Achtung, Drache im Anflug!" rief ich schon fast in Panik. Unsere Sphäre machte gar nicht erst den Versuch, zu tauchen, sondern schwebte mit aufreizender Langsamkeit zum Ufer und ließ sich geschickt zwischen den allgegenwärtigen Riesenbäumen und den Büschen zu Boden sinken. Um Verletzungen ihrer Hülle zu entgehen, ließ sie ziemlich viel Wasser ab, was eine Art Bach in Richtung Meer bildete. Die Sphäre hing jetzt schlaff zwischen Bäumen und Büschen und schillerte so grün wie ihre Nachbarschaft.

Ich versuchte, mich erneut in die Gedankenwelt des Angreifers einzuklinken. Nach einer Minute hatte ich die Vorstellung, dass meine Beute im Fluge nicht mehr zu spießen sei. Aber ich hatte mir die Stelle gemerkt, wo sie verschwunden war. Also setzte ich über dem Meer zur Landung auf dem schmalen Küstenstreifen an. Nun konnte ich die Beute in aller Ruhe suchen und ein paar Leckerbissen abreißen. Denn mit zusammen gefalteten Flügeln kam ich ganz einfach zwischen die Büsche und brauchte nur noch mit meinem Schnabel zuzustoßen.

Zugleich bat ich als Mensch: "Lass' mich raus - immerhin habe ich Speer, Bogen und Pfeile bei mir." Gehorsam öffnete sich die Bodenluke, und ich rannte unter der Kugelform hervor. Den Speer schwingend ging ich auf die Riesenechse zu und fühlte mich wie Siegfried, der Drachentöter. Ich erreichte immerhin, dass sich die Echse für mich interessierte. In ihren Gedanken mischten sich Appetit auf Sphärenfleisch und Neugier, ob der kleine Hampelmann da unten womöglich eine Gefahr darstellte.

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