Zeit-Myzel, Seite 37

Ich machte mich in ihrem Geiste riesig groß, mit einem Speer so dick, wie ein Bein mit einer scharfen Spitze. Ich riss einen Rachen auf, so groß, dass ihr (mein) Kopf hineinpasste. Ich selbst geriet in Panik, als ich diesen Riesen vor mir erblickte, gab dem Impuls, zu fliehen nach, rannte los breitete die Flügel aus und sah zu dass ich Höhe gewann.

Triumph, dass ich die Riesenechse vertrieben hatte, und Dankbarkeit, dass mir ein böser Riese nichts getan hatte, verhedderten sich in meinem Kopf zu einem wirren Knäuel. Ich flog eine weite Kurve, um nachzusehen, ob mein Feind nun "meine Beute" verzehren würde. Ich hatte die vage Vorstellung, ihm einige Bissen zu stehlen. Zu meinem Erstaunen konnte ich nur meine Beute sehen - von einem Konkurrenten nichts zu sehen. Also machte ich einen neuen Versuch der Landung. In der Nähe der Beute sah ich einen Zweibeiner, eine Raubkatze und ein Tellerauge. Alle drei würden mir zwar ein paar Bissen klauen, aber nicht ernsthaft; denn wenn sie mir zu dreist wurden, würde ich sie mit meinen Flügeln wegwischen. Ich landete und näherte mich zielstrebig meiner Beute. Der Zweibeiner vor mir hob die Hand und ich blieb stehen. Mein sehnlichster Wunsch war es plötzlich, mit diesen Wesen gemeinsam zu leben, uns gegenseitig für immer zu helfen und füreinander da zu sein. Ich hätte Tränen der Rührung vergießen können vor Glück, diese Wesen getroffen zu haben, die so mutig für "ihre Sphäre" eingetreten waren. Aber was sollte ich jetzt essen? Vielleicht wussten die da unten, was ich essen könnte?

Indem ließ sich ein kleiner Saurier von einem der Bäume herab gleiten. Das Ziel schien der kleine Zweibeiner zu sein. Sollte mein Glück schon vorbei sein? Ich schnappte mir das Untier mitten im Flug und schluckte es.

Gut tat das. Es würde eine Weile reichen! Erleichtert zog ich mich wieder in mein luftiges Reich zurück, suchte und fand eine wunderbare Thermik und freundete mich mit dem Namen "Atros" an. Wie ich allerdings meine Beute und die Sphäre meiner Freunde auseinander halten sollte, das wurde mir nicht klar. Und je weiter ich mich in der warmen Sommerluft empor schraubte, umso unsicherer wurde ich.

Vorläufig erfreute mich die kräftige Aufwärtsströmung und das prächtige Panorama, das man hier oben genießen kann, wenn man nicht nach Beute schaut.

Erstmals in meinem Leben auf dieser Welt fürchtete ich mich vor mir selbst. Was hatte der Kobold in meiner Vision gesagt: "... deine Beziehungen, die dir eines Tages ein hohes Maß an Verantwortung abverlangen werden.
Ich warne dich, gebrauche deine Macht sehr vorsichtig und rücksichtsvoll. Diese Welt enthält mehr als eine Dimension. Du bist sehr schnell in einer von deinen Machtgelüsten selbst hergestellten Hölle. ..."

Was mochte es bedeuten, Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen, das in allen Bedürfnissen und körperlichen Eigenschaften so fremd war, wie ein flugzeuggroßes, fliegendes Raubreptil? Wie pflegt man eine solche Beziehung? Grübelnd streichelte ich Fauch, die dabei laut und ausdauernd schnurrte.

"Ich muss nachtanken.", unterbrach die Stimme Polyts die Idylle. Die Sphäre begann wieder zu schweben, kam aber nicht gleich frei. Erst beim nächsten Windstoß federte sie von einem der Baumstämme ab, bog ein paar Zweige der nahen Büsche zur Seite. Dann endlich trieb sie aufs Meer hinaus, wo sie offensichtlich "Wasser fasste" und ihre pralle Form zurück bekam.

Wetu Eleanor, aufgeschrieben von Ekkard Brewig am 21. Juli 2007

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