Zeit-Myzel, Seite 44

Was war denn nun das wieder? Widerwillig musste ich mir eingestehen, dass sich die Dinge hier gewissermaßen ohne mein Zutun entwickelten - ich war sogar eher ein Störfaktor, ein Dummbeutel, der auch noch andere in Gefahr brachte. Aber ich war ein verletzter Dummbeutel und hoffte vor allem für mein schwer verletztes Tellerauge auf Hilfe wider alle Logik des Lebens in einer steinzeitlichen Welt.

Der Elbe sang etwas, das ich als "Suluainahlaah" verstand. Ich verbeugte mich und sagte: "Wetu Eleanor", worauf er sang: "Haalooh Wehtuh". Ich hoffte, dass diese Übereinstimmung mit meinem Schmerz und dem Mitleid mit Tellerauge nur einem Zufall entsprang. Ich war nicht in der Verfassung, mir Vorwürfe anzuhören, die ich mir selbst schon machte.

Suluainahlaah bedeutete mir mit Handzeichen, Tellerauge auf Fauchs Rücken zu legen und mitzukommen. Dabei nahm er vorsichtig meine Hand und führte sie an Tellerauge. "Ach, ich soll ihn festhalten!" sagte ich. Der Elbe nickte. Ein Klaps auf Fauchs Hinterteil und sie stelzte vorsichtig los, ich an ihrer Seite, leicht gebückt, humpelnd mit einer Hand auf Tellerauge, damit er nicht von Fauchs Rücken fiel. Suluainahlaah bildete die Nachhut.

Nach nur wenigen Schritten wurden meine Schmerzen in der verbrannten Ferse unerträglich, weil ich wegen meiner gebückten Haltung den linken Fuß nicht ausreichend entlasten konnte. Zwei Schritte weiter knickte ich einfach weg, obwohl ich alles daran setzte, dies zu verhindern. Zu meinem Erstaunen konnte ich mich selbst stöhnen, ja fast weinen hören, als wenn mein Ich etwas Fremdes, Unbeteiligtes sei.

Zugleich spürte ich irrsinnige Schmerzen in meinem Gesicht und hinter mir brannte sich ein Stechen in mein Bewusstsein, an einer Stelle, die ich gar nicht besaß! Als ich einatmete spürte ich einen kalten Hauch an den Zähnen. Wellen von Schmerz trieben mir kalten Schweiß aus allen Poren. Zitternd versuchte ich wieder aufzustehen, was mir eine kurze Ohnmacht bescherte. Suluainahlaah hatte inzwischen aufgeholt, Fauch war ein paar Schritte weiter gegangen und schaute sich zu mir um. Tellerauge war verschwunden. Ein merkwürdiges Dämmerlicht war hereingebrochen - jedenfalls schien es mir so. Der Himmel kleidete sich in ein dunkles Grau, dagegen waren alle Gegenstände und meine Gefährten in ein goldenes Licht getaucht: Tellerauges Sehvermögen! - Tellerauges Schmerzen! Immerhin schien er zu leben. Mir selbst traute ich durchaus zu, diese dunkle Episode irgendwie zu überstehen.

In diesem Augenblick fand ich mich in einem Gebirge wieder, eingehüllt in gefütterte Fellkleider und in Schuhen, die sehr "selbst gebastelt" aussahen. Ein heftiger Wind versuchte, mir die wärmende Kappe vom Kopf zu reißen. Hinter mir folgte ein Schlitten, weil ich kräftig an einem etwas ungleichmäßig gefertigten Seil zog. Ich ging auf einem verharschten Schneefeld, das vom Tal bis hier herauf reichte. Das Eis musste mächtig dick sein. Steine, Bäume, Mulden, Grate - alles war eingeebnet. Auch im fernen Tal war außer hellgrauem Schnee und noch etwas hellerem Himmelsgrau nichts zu erkennen, nicht einmal das Meer. Vermutlich war es zugefroren. Die Welt lag wie unter einem Leichentuch. - Doch halt: In dem einheitlichen Grau hoben sich dunklere Stellen ab. Eine schwache Erinnerung sagte mir, dass dort Herden von Tieren weideten. Sie ernährten sich von einer Flechte, die trotz der widrigen Wetterverhältnisse in großer Menge auf dem Schnee gedieh.

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