Zeit-Myzel, Seite 48

Der Anblick der immer höher und höher steigenden Berge hatte etwas Überwältigendes. Bot sich im Vordergrund auch nur die kleinste Lücke in der Bergkulisse, so gab diese den Blick auf noch höhere Bergketten frei - höher und immer höher. Unter dem erhabenen dunklen Blau dieser Welt mit seinem Stich ins Violette ergab sich ein scharfer Farbkontrast zu den Bergkämmen aus Grau und Weiß.
Zudem war die Luft über den Bergen kristallklar, so dass das Auge selbst feinste Rillen im Fels ausmachen konnte. An den Flanken der ersten Bergriesen konnte man sehen, wie sich die Vegetation an den gefurchten Hängen bis in luftige Höhen festkrallte und erst allmählich durch Fels und Geröll verdrängt wurde, auf dem sich bereits Schnee halten konnte. - Und das im Hochsommer, wie mir Tellerauge einmal in Bildern klar zu machen versucht hatte.

Die Kulisse wurde nach unten abgerundet durch die satten Grün-Töne des allgegenwärtigen Waldes mit seinem Dickicht und den darüber hinaus ragenden Riesenbäumen mit ihren schirmähnlichen Kronen. Hinter den Kronen schimmerten die teils schneebedeckten Felsen des Gebirges. In meiner Erinnerung war ich im Raum der Mittelgebirge aufgewachsen.
Der sich mir bietende Anblick erfüllte mich daher mit Ehrfurcht und einer gehörigen Portion unbeschreiblichen Glücksgefühls.

Als ich mich von diesem Rausch der Eindrücke losriss und umsah, war die Sphäre verschwunden ohne weitere Anweisungen abgewartet zu haben. Wie ein so großes Ding sich lautlos davonstehlen und abtauchen konnte, wird mir ein Rätsel bleiben.
Die Wesen dieser Welt schienen aufzutauchen, wenn ich sie brauchte und ebenso zu verschwinden, wenn ich sie - wenigstens im Moment - nicht mehr brauchte.

Von jetzt an musste ich nach Osten gehen. Auf freiem Gelände schätzte ich 5 Tagesreisen bis zu dem kleinen See und der Hütte, die ich in einem Traumbild aus großer Höhe gesehen hatte. Aber wie viele Tage würde ich über dem Bodendickicht klettern und hangeln müssen, um diese Strecke zu überwinden?

Ich setze mich schon einmal ein Bisschen in meine neue Richtung in Bewegung, stieg den Strand hinauf und schaute sichernd in die weit ausladenden Kronen der Waldbäume. Mein geübtes Auge konnte keine "fallende Schlange" ausmachen. Alle anderen Angreifer erwartete ich eher aus dem dichten Unterholz vor mir.

Ich aß zunächst etwas von den Riesenerbsen aus meinem Vorrat im Jagdbeutel. Dann packte ich alles zu einem Bündel zusammen, das ich an einem selbst gedrehten Hanfseil befestigte. Wie transportiert man am besten ein gewichtiges Bündel, wenn man selbst genötigt ist, zu klettern? Mir fiel einfach nichts Besseres ein, als mir das Bündel um den Bauch zu binden und damit so lange zu aufwärts zu klettern, bis sich das Seil straffte. Ein, zwei Kletterschritte, dann baumelte das Bündel so, dass ich mich behindert fühlte. Also zog ich es zu mir herauf, verklemmte es zwischen den Ästen und Zweigen. Ich kletterte also wieder eine Seillänge weiter und verklemmte das Bündel erneut. Nach einer weiteren Seillänge hatte ich jene Höhe erreicht, auf der man horizontal weiter klettern musste. Die Orientierung war hier relativ einfach, weil ich mich nach dem Verlauf der nahen Bergriesen richten konnte. Im Moment gab die in Osten aufgegangene Sonne die Wegrichtung vor.

Auf manchen Blättern hier oben hatte sich eine tiefe Pfütze Tau gebildet, den ich gerne aufnahm. Wenn es nicht gerade regnete - und danach sah es heute nicht aus -, wäre dies die einzige Flüssigkeit, die ich finden würde; denn einen Bachlauf konnte ich nirgends sehen.

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