Zeit-Myzel, Seite 53

Für Tellerauge hatte ich nichts zum Essen, Schregg nahm gerne ein paar Stückchen von meinem Vorrat an Riesenerbsen. Vorsichtig strich ich über die Lefzen von Tellerauge. Die Narbe war deutlich zu fühlen, doch die Lippen waren wieder vollständig und verhungert sah er auch nicht gerade aus. Durch seine Augen hindurch sah die kleine Kugelwelt recht Vertrauen erweckend aus.

Eine Ratte raschelte leise hinter mir. Sie verströmte den Geruch eines leckeren Bratens meiner Erinnerung. In goldenem Licht sah ich den Nager hin und her huschen, mal an einem Blatt knabbern, mal eine Frucht kauend. Selbst als er um einen Zweig herum turnte und eigentlich aus unserer Richtung nicht sichtbar sein konnte, sah ich den gut riechenden Braten trotzdem vor mir. Natürlich konnte die Ratte, oder was ich mit meinen Erinnerungen dafür hielt, für meine Nase verführerisch riechen. Doch ich nehme viel eher an, dass ich in diesen Augenblicken an Tellerauges Wahrnehmungen teilnahm. Tellerauge packte mit einer blitzschnellen Bewegung ins Grün, ein kurzes Quieken! - Der Braten schmeckte köstlich.

Als ich mich von den Bildern und Gefühlen frei machte, sah ich Tellerauge die Ratte verzehren. Ich beglückwünschte ihn zu seinem Jagdglück - ich hatte genug anderes zu essen!

Und der Regen rauschte gleichmäßig hernieder, tropfte von den Blättern, Zweigen und Ästen und verschwand im Dickicht unter uns. Tellerauge hatte sich an mich gekuschelt und äugte misstrauisch zu meiner Jagdtasche.

Ein wenig schläfrig geworden, glitt ich in jene Traumwelt, wie sie Schregg bereits einmal in meine Gedankenwelt projiziert hatte. Eine junge Frau arbeitete in der Hütte, die ich nur als ihr Krankenlager kannte. Diesmal schien die Frau gesund zu sein und ich konnte sie erkennen. Es war eindeutig Clara. Nur, hier war sie - jedenfalls im Augenblick - nicht in Gefahr. Ihr kleiner Sohn, der Junge, der damals Lianen für seine verletzte Mutter geholt hatte, spielte mit einem Tellerauge vor der Hütte und zeigte keinerlei Furcht.

Würde ich Clara einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen? Und was dann? Ein Mann entbrennt sehr schnell für ein ansehnliches, weibliches Exemplar der eigenen Gattung. Nur, würde sie mich mögen. Immerhin war ich ein dummer Neuling in dieser Welt. Führte meine Suche zu ihr, gab es weitere Menschen und wo?

Aufgeschrieben von Ekkard Brewig am 05. August 2007

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