Zeit-Myzel, Seite 70

Clara verstand mich jetzt gut und antwortete: "Tal - re - inn", was in der Sprache meiner Erinnerung soviel bedeutete wie 'Held - Retter oder rettet - Leben'. Er war die Hoffnung seiner geplagten Mutter! Ich spürte, dass ich ihre Sprache dann beherrschte, wenn ich meine Erinnerungen an die technische Zivilisation möglichst vollständig unterdrückte.

In mir tat sich eine bisher geheime Quelle auf, die mehr über diese Welt gespeichert hatte und nun abgab, als meine bisherigen Erinnerungen zulassen wollten. Es war kein Zufall, dass mein Name derselbe war, wie derjenige von Claras ermordetem Freund. Plötzlich hatte ich das Gefühl mindestens aus zwei Personen zu bestehen: meinem "irdischen" Ich und jenem "Wetu Eleanor" aus Claras Stamm, also meinem Stammes-Ich.

Ich hatte ein Bisschen das Gefühl, den Boden unter meinen Füßen zu verlieren. Hatte ich Schizofrenie und würde Dinge tun, die die andere Persönlichkeit herzlich bedauerte? - Andererseits konnte ich beide Persönlichkeiten zugleich wahrnehmen. Es war also mehr die Frage der bisher gegebenen Situation. Ich hatte einfach den Schlüssel zu dem vormaligen Wetu Eleanor verlegt. Die Sprache macht ihn mir zugänglich.

Sogleich machte ich mich an die Arbeit und bat Clara, mir dabei zu helfen, meine Erinnerungen aufzufrischen. So plauderten wir über die Lebensverhältnisse ihres Stammes, der ja eigentlich auch meiner war. Je mehr mir Clara berichtete, um so mehr fiel mir wieder ein.

Längst war die "Sonne Zwei" aufgegangen, jener helle Stern, der mal als Abendstern, jetzt aber als Morgenstern die Nacht beleuchtete.

Der Stamm hatte keine Ahnung von den astronomischen Gegebenheiten. Das war - gemessen an meinen zivilisatorischen Erinnerungen - sehr schade. Ich hatte nach meinen wenigen Monaten der Beobachtung den Eindruck, dass sich die Welt, in der ich nun lebte, in einem Doppelsternsystem bewegte. "Sonne Eins" war Partner von "Sonne Zwei". Unsere Welt stand Sonne Eins nahe genug, dass auf ihr Leben entstanden war. Das ganze hiesige Weltall war angeblich die Vorstellung einer besonderen Sphäre jenes Universums, aus dem meine Alt-Erinnerungen stammten, so behauptete es wenigstens der 'Weise der Welt'.

Clara legte Talrin ihrem Leoparden zwischen die Pfoten. So lag er warm und sicher. Die große Katze leckte einmal kurz über die Haare des Knaben, womit der Fall geklärt war. Der Leopard würde mit allen Sinnen aufpassen und notfalls die Krallen benutzen.

Clara fasste nach meiner Hand und zog mich hoch. Dann rannte sie auf den dunklen Wasserspiegel zu und stürzte sich hinein. Ich hinterher. So erledigte sich das Problem der Körperpflege, welche in den letzten Tagen zu kurz gekommen war. Die Nacht war kühl. Dagegen wärmte uns fast das Wasser, das sich ausgesprochen angenehm anfühlte. Gefahren schien es keine zu geben. In dieser Hinsicht musste ich mich natürlich auf Clara verlassen.

Übrigens planschten auch die beiden Telleraugen auch im Wasser. So hätte die Zeit stillstehen können.

Wetu Eleanor, aufgeschrieben von Ekkard Brewig am 12. August 2007

< zurück | blättern | weiter > Anfang | Home