Zeit-Myzel, Seite 89

Tatsächlich schien es so, dass jener Käfer, der Talrin angefallen hatte, nur den Telleraugen schmeckte. Hingegen war seine Larve, jene Made, von der wir im Augenblick lebten, ein köstliches, aber seltenes Mahl.

An solchen Regentagen, wie heute, lebten die Menschen meistens von Früchten und den allgegenwärtigen Hundertfüßlern. Merkwürdigerweise mochten die Stammesangehörigen - gehörte ich nun dazu oder etwa doch nicht? - die von mir geernteten Riesenerbsen nicht, obwohl ich sie sehr gerne aß. Ich fragte danach. Der einzige Grund: Jenseits der Barriere aus Bodendickicht, also weit im Binnenland wuchsen die Bäume mit den keulenförmigen Früchten nicht.

Ich stierte eine Weile missmutig vor mich hin und dachte über das Phänomen nach, als sich Hanak meldete: "Der Geist dieses Baumes lebt nur am Fuß der Berge." Im ersten Augenblick dachte ich, ich sei von Tagong angesprochen worden. Mir lag bereits die nächste Frage auf der Zunge. Doch ich erschrak. "Hanak?", dachte ich und erinnerte mich schwach daran, dass er plötzlich in meinem Kopf war, als ihn der damals noch fremde Drache gerissen hatte. Seine Stimme redete "innerlich".

"Wie viel Regen fällt eigentlich im Land hinter dem Dickicht?" warf ich laut in die Runde. Clara antwortete mit einem vorwurfsvollen Unterton: "Sehr wenig - hier viel mehr!" Innerlich gab ich meiner Überzeugung Ausdruck: "Also braucht der Baum mehr Wasser, als er im Binnenland erhält." Dann schloss ich die Frage an: "Hat schon mal jemand versucht, dem Baum aus einem Fluss oder Bach Wasser zuzuleiten?" Meine inneren Stimmen schwiegen. Ich wiederholte die Frage laut. Auch hier taten meine Gesprächspartner so, als hätten sie besseres zu tun, als sich mit solch törichten Fragen zu beschäftigen. Ich schaute Clara fordernd an.

Schließlich murmelte sie: "Die Flussgeister rächen doch derartige Dinge! Sei nicht kindisch!"

"Dieser Baum mit seinen Riesenerbsen wäre die "natürliche" Nahrungsquelle im Winter", dachte ich bei mir, "und diese verbohrten Leute verstellen sich mit ihrem Geisterglauben diese Quelle." Jetzt allerdings schwanden mir fast die Sinne, als mein Stammes-Ich und Hanak auf mich einredeten. Besonders gut konnte ich ihre Sprache noch nicht, zumal ich im Augenblick dieses Dialogs auf mich allein als zivilisierter Stadtmensch gestellt war! Ich verstand nur soviel, dass der Stamm diese Früchte nicht kannte. Alles, was man nicht kennt, aber essen will, muss dem Schamanen und dem Häuptling vorgelegt werden. Diese befragten in einer besonderen Zeremonie die Geister. Wenn diese erlaubten, die gewünschten Früchte zu essen, dann wurde ein spezielles Mahl zubereitet und den Geistern geopfert. Am nächsten Tag musste das Mahl von den Geistern vollständig verzehrt worden sein. War das nicht der Fall oder lagen in der Nähe tote Tiere, dann musste man die Zubereitung ändern. Der Vorgang wurde so lange wiederholt, bis die Geister das Essen annahmen. Dass mir, Clara und Talrin die Erbsen bisher bekommen waren, zählte dabei nicht. Ich wagte noch einzuwenden, dass Reste von den Riesenerbsen am nächsten Tag niemals vorhanden waren. Tote Tiere hätten wir auch noch nicht gefunden und die Drachen äßen schließlich auch davon. "Einerlei!" sagten die Stimmen, "man muss die Geister befragen, alles andere ist Unsinn". Hanak gebrauchte den lautmalerischen Ausdruck: 'Omfutz'. Das Stammes-Ich und Hanak nannten mich einen unverbesserlichen Querkopf, der eines Tages an seiner Dummheit sterben werde. - Das mochte ich nicht ausschließen und sagte laut: "Jedenfalls sterbe ich nicht an den Erbsen!" Clara und Jakat sahen mich an, als hätten mir die Nieselmonster das Bewusstsein getrübt.

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