Überwindung, Zeit-Myzel Seite 92

Ein feiner Nebel schwebte über dem noch im Schatten liegenden See. Die Luft bewegte sich nicht. Kopf und Hals der Drachen streckten im unsichtbaren Wasser, so dass ihre Buckel wie Inseln aus dem Nebelschleier ragten. Plötzliche Zuckungen verrieten, dass ihre Jagd in vollem Gange war. Ansonsten beherrschte das zunehmende Morgenlicht eine fast friedvolle Szene. Ein leuchtend grüner Saum in den Baumkronen kündigte endlich von schönem Wetter nach tagelangem Regen. Unsere Hütten lagen ebenfalls noch im Schatten aber die Kronen der Baumriesen bekamen bereits das Licht der Frühsonne. Vielleicht noch eine Stunde, dann würden die "Monster der Lüfte" uns ihre Flugkünste zeigen.

Ursprünglich waren wir aus den Hütten gekrochen, um uns im See zu baden. Doch solange die Drachen Ihre Mahlzeit nicht beendet hatten, riskierten wir Menschen es nicht, mit Beute verwechselt zu werden. So aßen wir erst einmal etwas von unseren Vorräten oder pflückten einige Früchte von den nahen Sträuchern. Nach den trüben Regentagen schmeckten sie allerdings eher ziemlich sauer und wir warteten sehnlich, dass die Drachen den See für uns freigaben. Schließlich reckten sie ihre Hälse aus dem Wasser und drehten sich zu uns um. Jakat und Clara schrieen zugleich auf, als uns sechs Augenpaare entgegenschauten. Ein dritter Drache steckte im See!

Unsere jungen Jäger verschwanden in ihrer Hütte und erschienen mit ihren Bögen wieder und gingen sofort in Stellung. Clara, Talrin und Jakat verschwanden irgendwo in einem von Claras Pfaden im Dickicht hinter uns.

Mich erreichte eine Welle der Freude. Einer der Drachen hatte eine Freundin gefunden und stellte sie uns nun vor - so ähnlich jedenfalls fühlte sich die empfangene Freude an. Mir war also klar, dass auch von dem dritten Drachen keine Gefahr ausging. Es war ein weiblicher Drache. Sie hatte sich in den vergangenen Tagen unseren beiden männlichen Tieren, die beide auf den Namen Atros hörten, angeschlossen. Wie ich weiter wusste, war noch ein weiterer weiblicher Drache in der Nähe, die Nummer Vier. Das war nicht ungewöhnlich und meine Artgenossen wussten auch, dass bis zu einem Dutzend "Monster der Lüfte" gemeinsam auftraten, um gemeinsam zu jagen. Wenn wir uns ruhig verhielten, und wie schon erwähnt, keine gefühlsmäßigen Vorbehalte entwickelten, dann würden uns die Tiere buchstäblich als Freunde betrachten und nicht als Futter. Aber wie sollte ich dies meinen jungen Freunden mit wenigen Kommandos beibringen?

Ich dachte voller Panik ans Abtauchen und wegschwimmen. Als die ersten Pfeile der jungen Jäger losschossen, waren die Drachen bereits in einem Meer aus Schaum verschwunden. Triumphierend erhob sich Tagong, rannte zum Ufer und schickte im Lauf noch einen Pfeil hinter den "Monstern der Lüfte" ins Wasser nach. Offenbar hielt er sich und seine Brüder für die Sieger in dieser Situation.

Nachdenklich ging ich zu ihm und sagte: "Ich habe den Monstern der Lüfte geraten, schnellstens zu verschwinden, mein Freund! - Sei kein Narr! Eure Pfeile würden diese Tiere nicht ernsthaft verletzen. Euer Angriff würde nur bedeuten, dass ihr für sie Futter wäret." Tagong funkelte mich wütend an. "Wir brauchen die Drachen noch", fügte ich hinzu. "Sag' Bescheid, wenn wir mit den Flugversuchen anfangen können!"

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