Zeit-Myzel, Seite 94

Und wenn ich ehrlich bin, dann war es für mich auch eine Überraschung, dass die Tiere keinen festen Boden brauchten, um in die Luft zu kommen.

Inzwischen vertraute ich darauf, dass alle Helfer ihre Positionen am Ufer erreicht hatten. Ich klatschte in die Hände und Atros II kam mit seiner Partnerin näher. Auch er ließ sich das Tragnetz überziehen. Ich kletterte hinein und zog Tagong hinter mir her. Seinen Bogen musste er am Ufer zurücklassen, das war eine meiner Bedingungen.

Als ich in den Wasserspiegel unter uns blickte, und die beiden Gesichter im Wasser verglich, wurde mir bewusst, dass Tagong und ich das gleiche biologische Alter haben mussten oder Tagong eher der Ältere war. Meine Erinnerungen an einen etwa sechzig Jährigen aus der technischen Zivilisation, zu der ich mich gehörig fühlte, hatten mich getäuscht. Auf diese Weise hatte ich einen väterlichen, im Leben erfahrenen Tonfall an mir, der mir bei Tagong wahrscheinlich schadete. Er musste in mir einen Konkurrenten sehen. Ich mochte mir nicht ausdenken, was er mit mir anstellen würde, fall er sich in Clara verlieben sollte.

Ich klatschte mit der flachen Hand gegen den massigen Hals über uns. Und schon spritzte um uns herum das Wasser, die riesigen Flughäute stemmten sich gegen die träge Luft und heftige Luftwirbel zerzausten unsere Haare. Der weite Bogen des Ufers kippte unter uns weg. Neben uns schwappte das Wasser nach oben, als Atros II in einen weiten Kurvenflug überging. Dann, bereits über dem Wald gewann unser Flieger schnell an Höhe. Mit einem Mal hörte der Flügelschlag auf und die Landschaft rotierte in einem merkwürdig gekippten Zustand um uns herum.

Ihre Gegenstände wurden kleiner und kleiner. Auch Tagong begriff allmählich, was das bedeutete: Wir, d. h. unser Drache hatte einen thermischen Schlot gefunden und fand es bequemer, dort an Höhe zu gewinnen, anstatt sich über dem Wasser mit eigenen Flügelschlägen in der Luft zu halten. Er trat nach mir und schrie mich an: "Du mieser Betrüger, du Woschat! Hereingelegt hast du mich. Pah, ein kleiner Flug über den See?!" Wieder und wieder schlug mir Tagong auf den Kopf und versuchte, mir ins Gesicht zu schlagen. Dabei traf er aber nur meine schützend vorgehaltenen Arme. Sehr weh taten mir seine Schläge nicht, weil er in der Enge des Tragnetzes keinen Platz zum Ausholen hatte.

Mit einem Mal wurde er aschfahl als sich der Drache heftig schüttelte. Tatsächlich hatte er ein kleines, fliegendes Reptil gefangen und zermalmte es gerade in seinem mächtigen Schnabel. Tagong hatte nicht auf die Umgebung geachtet und bezog nun das Schütteln auf seinen Angriff gegen mich. Seine Fassade brach schlagartig zusammen, und er war nur noch ein Junge voller Angst. "Ich will nicht sterben", schluchzte er.

"Sei nicht schon wieder ein Narr!" Ich fasste ihn hart am Handgelenk, so hart, dass er meine Körperkraft spüren sollte. Ich war keineswegs schwach und wehrlos, obgleich ich mich gegen seine Angriffe nicht gewehrt hatte - aus sehr guten Gründen. Denn ich wollte auf keinen Fall, dass Atros aus meiner Abwehr die falschen Schlüsse zog. "Dieser Drache trägt uns, wohin wir wollen, versuche es! Du brauchst nur an den vorderen Tragseilen zu ziehen. Der Drache folgt dem Zug nach rechts, nach links oder nach unten. Wenn du mit den Fersen leicht gegen seine Brust drückst, dann versucht er nach oben zu fliegen, soweit seine Kraft und die Luftströmungen das zulassen. Störe aber nie seine Jagd!"

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