Zeit-Myzel Seite 95

Tagong fasste sich schneller, als ich erwartet hatte. Vielleicht war es auch die plötzliche Aufgabe, mit der Möglichkeit, so rasch wie möglich wieder nach unten zu kommen. Er zog also am rechten Tragseil und der Drache zog die ohnehin geflogene Rechtskurve etwas enger. Als Tagong den Zug lockerte, kehrte unser Flieger in seine ursprüngliche Fluglage zurück. Dann zog mein Begleiter an beiden Seilen. Gehorsam senkte der Drache seinen massigen Körper und verlor an Höhe. Allerdings geriet der neugeborene Pilot etwas in Panik, weil dabei der Fahrtwind stark zunahm. Unsere Geschwindigkeit entsprach nicht mehr dem Aufwind, dem wir bisher gefolgt waren. "Wie kann man dem Drachen klar machen, dass er uns zu unseren Hütten bringen soll?" fragte er. "Eine sehr vernünftige Frage", lobte ich. "Du tätschelst einfach den Hals unseres Fliegers ein Bisschen, gewissermaßen als Belohnung für erwiesene Dienste, dann beendest Du das Lob mit zwei kurzen Schlägen mit der flachen Hand. Mach's einfach mal!" Zum ersten Mal in seinem Leben berührte Tagong ein solches Monster, strich über die schuppige, raue Haut, klopfte ein Wenig und streichelte sie wieder.

Überrascht beobachtete ich, wie sich seine verkrampfte Haltung löste. Seine Augenlider rundeten sich, was seinen Blick weicher, fast zärtlich erscheinen ließ. Wieder und wieder strich er dem Drachen über den Hals. Dann beendete er das Geschehen mit zwei Schlägen mit der flachen Hand gegen den Hals des Riesen nicht allzu fest aber entschlossen.

Gehorsam ließ sich Atros in einem weiten Gleitflug aus dem thermischen Schlot in Richtung See sinken. Dabei nahm unsere Geschwindigkeit so zu, dass wir dreimal über dem See kreisen mussten, bis wir schließlich im aufspritzenden Flachwasser am Strand vor den Hütten landeten. Als wir wieder festen Grund unter den Füßen hatten, streichelte Tagong Atros nochmals. Und der Drache warf seinen Kopf in den Nacken und klapperte mit seinem Schnabel. Die zwei schienen sich entgegen allen meinen Befürchtungen zu verstehen. Ich war mir ganz sicher, dass es Atros irgendwie gelungen war, ein Band zu diesem Tagong zu knüpfen. Die Zukunft würde zeigen müssen, wie eng.

Eine Erfahrung nahm ich mit auf meinen weiteren Weg durch diese Welt: Man musste die Drachen streicheln und mit ihnen etwas unternehmen, dann fraßen sie einem aus der Hand - auch dann, wenn man kein Woschat war.

DracheWeit über uns kreiste der Schatten einer Drachendame, die sehnsüchtig auf jemand wartete. Und alle Menschen unserer kleinen Schar gingen zurück zu den Hütten.

Aufgeschrieben von Ekkard Brewig am 30. September 2007

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